"Endstation Tokio" - Buchrezension

   

Allgemeine Infos:
Titel: "Endstation Tokio"
Originaltitel: 
"Last Stop Tokyo"
Autor: James Buckler
Übersetzung: Aus dem Englischen von Rainer Schmidt
Erscheinungsdatum:  
2017 (Eng), 2018 (D)
von mir rezensierte Auflage: 1. Auflage 2018
Originalpreis: 16,00€ (D)
Verlag: Goldmann Verlag, Verlagsgruppe Random House GmbH
Umfang / Buchart: 351 Seiten, Paperback/Taschenbuch-Umschlag
Genre: Roman, Beziehungsthriller
ISBN: 978-3-442-31471-3
Info: auch als E-Book verfügbar. Debüt des Autoren.

Buchrücken:

"Du kannst vor allem davonlaufen. Aber nicht vor dir selbst.

Der junge Londoner Alex Malloy flüchtet vor seiner Vergangenheit ins sechstausend Meilen entfernte Tokio. Es scheint der perfekte Ort zu sein, um ein neues Leben anzufangen. Die grellen Lichter und dunklen Ecken der fremden Stadt berauschen ihn, und das betörende Land schlägt ihn in seinen Bann. Als er die rätselhafte Naoko kennenlernt, ist es die große Liebe für ihn. Aber auch Naoko hat ihre Geschichte, und die beiden gehen eine unheilvolle Verbindung ein: Alex wird in einen Strudel von Ereignissen hineingezogen, der völlig außer Kontrolle gerät - und ihn schließlich zu vernichten droht.
》Ein beeindruckendes Debüt.《 THE TIMES "

Beschreibung auf der Buchklappe:
"Alex Malloy will als Englischlehrer in Tokio ein neues Leben anfangen. Über seine Vergangenheit spricht er nicht- nicht einmal mit Naoko, einer Kuratorin in einer Kunstgalerie, die er kennen und lieben lernt. Es scheint ein perfekter Neuanfang in der fremden und betörenden Stadt. Doch auch Naoko hat ihre Geschichte, und je länger Alex sie kennt, desto mehr scheint ihm der Frieden zu entgleiten, den er eigentlich finden wollte. Und als er gerade denkt, er hätte den Tiefpunkt erreicht, muss er feststellen: Es kann immer noch schlimmer kommen..."
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Kurz über den Autor:
"James Buckler wuchs im Südwesten Englands auf und lebte in Amerika und Japan, wo er Englisch unterrichtete. Er studierte Film an der University of Westminster und arbeitete für MTV und BBC Films. Derzeit lebt er in London. 》Endstation Tokio《 ist sein Debüt als Romanautor." (aus dem Buch)
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Vorkommende Charaktere:
Alex Malloy - Hauptfigur, Englischlehrer
Patrick - Bruder von Alex
Hiro - Alter Bekannter von Alex
Naoko - Kindheitsfreundin von Hiro
Megumi - Mitarbeiterin von Naoko
Shinichi - Freund von Megumi
Herr Kimura - Chef von Naoko
Hauptkommisar Saito
Kommissarin Tomada
Jun - Häftling im Gefängnis
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Meine Meinung:
Zum Inhalt: Der junge Engländer Alex geht nach Japan, um dort ein neues Leben als Englischlehrer zu beginnen. Er läuft vor seiner Vergangenheit davon und kommt dadurch auch in Japan nicht richtig an: sein alter Freund Hiro kennt ihn noch von früher, hat jedoch Gerüchte gehört, warum Alex nach Japan gekommen ist. Warum dieser als Englischlehrer arbeitet, statt wie früher als Anwalt, will und kann er nicht verstehen. Er bekommt insgeheim mit, wie sein Kumpel mit seiner Kindheitsfreundin Naoko anbandelt. Alex beginnt mit dieser eine Affäre, bekommt aber selbst mit, dass diese ebenfalls Geheimnisse hat. Hiro wiederum findet die Verbindung der beiden nicht gut und sät Zweifel bei Naoko. Bei einer Veranstaltung in der Galerie, in der Naoko arbeitet, stiftet deren Angestellte Megumi schließlich auch noch Unfrieden und schiebt es Alex in die Schuhe, um Naoko eins auszuwischen. Als Alex später mit Naoko darüber reden will, gerät alles völlig außer Kontrolle, als Naoko mit aller Macht versucht, ihr Gesicht zu wahren..

Das Buch zeigt die eklige Seiten Japans: Alex' Freund Hiro beispielsweise nimmt ihn mit in seltsame Clubs mit Stripperinnen oder organisiert ihnen  "Gelegenheitsarbeiterinnen", die sich mit Geschenken für Verabredungen und Sex kaufen lassen. Ja, es gibt auch das in Japan, aber grundsätzlich schwingt bei allen  Beschreibung von Szenen für mich zumindest immer irgendwo was Negatives mit. Vielleicht ist es auch der eher sexistische Blick auf Frauen, ich weiß es nicht recht. Ich hatte ein sehr negatives Gefühl beim Lesen, das auch nie wirklich weg ging.

Die Charaktere haben auf mich ebenfalls wenig liebenswertes gehabt. Damit meine ich, dass mir sonst selbst in einem Krimi oder Thriller Charaktere sympathisch erscheinen. Hier war das sehr schwer, weil bei irgendwie jedem das Gefühl des "Dreck am Stecken" mitschwang. Bei Alex weiß man am Anfang nicht, warum er nach Japan kam, warum er nicht mehr als Anwalt in England, sondern jetzt als Englischlehrer in Japan arbeitet. Seine Vergangenheit hält er lange bedeckt, spricht nicht darüber und in Vergangenheitsblenden erfährt man Stück für Stück, was passiert ist. Sein Freund Hiro zeigt sich misogyn, sexistisch in Clubs oder chauvinistisch gegenüber Alex. Alles in allem wirkt er irgendwie eher wie ein toxischer Bekannter als wie ein "Freund". Naoko zeigt sich unterkühlt und reserviert, sie wird beschrieben als Wildpferd die sich einerseits durchzusetzen weiß, andererseits aber aufdringliche, männliche Kunden nicht zurück in deren Schranken verweist. Sie arbeitet als Galeristin, Alex entdeckt bei ihr daheim irgendwann einen Bilderrahmen mit blutiger Rückseite und auch sonst weiß man nicht, ob sie nicht vielleicht mit Kunden schläft. Jeder hat so seine Geheimnisse voreinander. Dabei dachte ich mir bei Alex aber irgendwann: warum macht er so ein Geheimnis um seine Vergangenheit? So krass fand ich das Geheimnis dann ehrlich gesagt nicht und hätte er mit Naoko oder auch schon Hiro darüber offen gesprochen, hätte ihnen das viel erspart. So ist es im Grunde selbstverschuldetes Elend wegen nichts und wieder nichts.
Aber auch weitere Charaktere zeigen sich eher toxisch; wie etwa Alex' Vorgesetzter (der sich ihm gegenüber aufspielt), Megumi (Naokos Mitarbeiterin, die mit ihr konkurriert), Shinichi (Megumis Freund, der Alex gleich mal eine Tüte Gras gibt 'falls dieser so viel zu ertragen hätte wie er selbst'), oder der ein oder andere Kunde Naokos, der sich misogyn oder mit seltsamen Geschmack zeigt. Auch die Settings, selbst einen Tempel den die beiden besuchen, wird uns als alt, halb verwittert und vergessen beschrieben und gibt irgendwie auch dieses 'der Lack ist ab'- Gefühl, dass mir viele Momente im Buch gaben. Irgendwie hat fast alles etwas düsteres an sich. es ist nicht dieses 'etwas ist gepflegt alt und historisch' sondern wirklich eher negativ beschrieben. Das machte auch mir beim Lesen eine eher düstere Stimmung.

Schreibweise: Auch hatte ich hier tatsächlich wieder das Gefühl, dass man spürt, so leid es mir tut sagen zu müssen, dass ein Ausländer das Buch geschrieben hat. Er kratzt an der Oberfläche ohne tiefer zu dringen, es wirkt wie eine voreingefahrene Sichtweise- ja, es kann sein Stil zu schreiben sein. Da es sein Debütroman ist, weiß ich das nicht zu vergleichen. Aber irgendwie... Ich kann es schwer erklären, für mich fehlte einfach etwas, die Beschreibungen blieben für mich an der Oberfläche. Und dann kamen halt eben auch diese typischen Klischees die Ausländer an Japan haben oder die gefühlt immer wieder erwähnt werden müssen in Büchern mit Japanthema, wie etwa Stäbchen nicht ins Essen stecken etc. Die Beschreibung von Omikuji fand ich zu flach: Alex und Naoko ziehen eins und Naoko meint, dass das alte Leute machen. Tatsächlich aber sind Omikuji auch bei der jungen Generation in Japan sehr beliebt und häufig sieht man auch eher die als alte Leute Orakel ziehen. Beide knoten ihr Glück dann weg an einen Baum, was per se nicht falsch ist, aber da es kein Unglück ist, hätten sie es mitnehmen können. 

Vielleicht ist das Buch des Autoren eine Kritik an der japanischen Gesellschaft: das immer versucht wird, das Gesicht zu wahren, ich weiß es nicht. Insgesamt habe ich aber oft die Hände bei der ein oder anderen Handlung über dem Kopf zusammenschlagen wollen und hätte am liebsten: "Ach komm, hör auf!" gerufen. Die Dinge überschlagen sich so dermaßen und sind irgendwie ziemlich klischeehaft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für einen Ausländer SO in japanischen Gefängnissen zugeht, das Ganze wirkte wie aus jeder x-beliebigen Knastserie oder -Film. Als hätte man alle Gefängnisklischees der Welt zusammengepackt. Öfters dachte ich, das Gefängnis wirkt wie irgendwo ganz anders, Nordkorea oder so, aber nicht wie in Japan. Wenn das Buch eins in mir ausgelöst hat, dann das ich recherchieren muss, ob japanische Gefängnisse wirklich so dermaßen schlecht sind. Das gleiche gilt für die Pachinko- und Onsenszene. Was war das bitte in der Pachinkohalle? Wenn Alex krasse  Geldsorgen hat, ist es ja nur logisch, 5000Yen (ca. 35-40€) gleich mal zu Beginn in eine Maschine zu stecken... und keine Ahnung in welcher Halle der Autor wenn überhaupt recherchiert hat, denn aus dem Automaten kommt im Gewinnfall kein Geld, sondern Kugeln. Die können dann gegen Produkte, Geld usw. getauscht werden.
Dann das mit dem Onsen.. Früher mal haben sich die Yakuza in Onsen verabredet zu Treffen, deshalb ist heutzutage vielerorts in Onsen eine Tattoowierung auch verboten. Ob es trotzdem heutzutage noch so ist, dass Yakuza da ihre Treffen abhalten weiß ich nicht, aber es macht mal wieder ein schönes Klischee auf. Ich fand die Beschreibung des Onsen sowieso seltsam, vor allem des Wassers: das wird als "sprudelnd" und "schäumend" beschrieben, was für mich jetzt eher genau wie das Gegenteil eines Onsen klingt und mehr wie ein Whirlpool. Vielleicht ist es gar nicht so gemeint, aber dann waren die Worte vielleicht einfach falsch gewählt. Dass er sich den "Gaijin-Schweiß" abwaschen soll ist auch sowas- ja, bei Ausländern wird man wahrscheinlich genauer hinschauen, aber jeder soll sich vor einem Onsenbesuch ordentlich waschen. Das Wasser dafür zum Abspülen ist allerdings auch nicht überall in den Onsen eiskalt. Ja, er mag speziell einen kleinen Teil beschreiben oder in seinem Buch mag das halt so sein, aber irgendwie bekommt man als Leser ohne Japanerfahrung eventuell schnell den Eindruck, es könnte überall in Japan so sein- was es aber nicht ist. Damit meine ich nicht nur das Onsen- sondern verschiedene Themen. Und das finde ich schade. Da fehlt mir eine bessere Settingbeschreibung.

Dann eben auch Charakterbeschreibung und -verhalten. Vieles geschieht zu schnell, zu sprunghaft, unüberlegt wirkt das ein oder andere oder man kann Entscheidungen nur schwer nachvollziehen. Auch da fehlt mir irgendwie was. Die Charaktere sind für mich lieblos, wenig verständnisvoll und kaum durchdacht.
Auch ein ziemlicher Witz: beide haben Geldsorgen, große sogar, keine Jobs und das Erste was sie dann beschließen?: erst einmal zusammen zu verreisen. Woher kommt dafür dann das Geld? Das fragt sich Naoko scheinbar nicht, als Alex mit ihr verreist.
Naokos Zutun und Verhalten, um ihr Gesicht zu wahren, finde ich sehr krank. Insgesamt wird hier auf Frauen (im Buch eines Mannes) irgendwie ein eher negatives, oberflächliches Licht gerückt. Naoko, Megumi, Alex' Mutter- alles eher negative, toxische Personen. Um sich zu beruhigen, geht Naoko natürlich shoppen- ja, machen japanische Frauen angeblich ja wirklich gern, passt aber zu dem Charakter Naoko irgendwie nicht,  wie sie uns sonst beschrieben wird. Die Männer auch, klar, aber die finde ich zudem noch sexistisch und auch, wenn gezeigt werden soll, wie schwer Naoko es hat, bleibt das Negative für mich bei ihr im Vordergrund, während Alex noch eher als jemand wirkt, der unabsichtlicher in etwas geraten ist als sie. Alex wird im Grunde sein gesamtes Leben lang als Spielball anderer Charaktere genutzt.

Was den Spannungsgrad betrifft, hat es mich ebenfalls nicht dazu gebracht, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ich habe es halt gelesen, aber besonders spannend war es für mich nicht. Ich hätte eher mehrfach fast abgebrochen. Die Geheimnisse der Hauptfiguren waren für mich enttäuschend, das Chaos was sich dann entspinnt, hat mich ebenfalls nicht abgeholt und mehrfach mit den Augen rolllen lassen weil es so übertrieben war. Ich hatte eher das Gefühl, der Autor wollte unbedingt  spannend sein und sich immer weiter selbst übertrumpfen- was nicht geklappt hat. Naokos Vergangenheit- irgendwie hatte ich genau sowas in der Art erwartet. Für mich keine Überraschung, keine Spannung. Als beide irgendwie der Meinung sind, dass die Beziehung unwiederbringlich zerstört ist, treffen sie sich eigentlich nur mal kurz, unterhalten sich, verzeihen sich auch irgendwie sofort und alles ist gefühlt wieder vergeben und vergessen. WTF, nachdem, was alles passiert ist? Das zumindest war mein erster Gedanke, dann kam ja doch noch was und auch das ist einfach nur krank. Ich sag ja, toxische Beziehung.

Auch lustig: wie sehr befragt die Frau Alex am Flughafen zu seinem Handgepäck? Ich bin schon so oft geflogen, da wurden mir noch nie so viele Fragen zum Handgepäck gestellt...
Im Endeffekt könnte man sagen: wäre Alex von Anfang an ehrlich zu Hiro und Naoko gewesen, wäre die ganze Schei... nicht passiert. Was Fehlkommunikation alles auslösen kann.

Besonders bescheiden fand ich das Ende. Es war so dermaßen offen, das ich mir erneut dachte: WTF? Ich habe gleich gegoogelt, ob es eine Fortsetzung gibt, aber scheinbar nicht. Man kann sich alles denken quasi, ganz viele Handlungsstränge verschiedener Charaktere werden nicht zu Ende erzählt und offen gelassen, zum Ende hin noch eröffnete Plot-Twists stehen gelassen. Man kann oder muss sich quasi denken wie es weitergehen oder enden könnte, aber mir war das tatsächlich zu offen.

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Eine Stelle aus dem Buch:
  • "Haben wir uns deshalb gefunden, Naoko? Du kannst vor mir verbergen, was du willst, weil ich kein Japaner bin. Ich sehe die kleinen Details an dir nicht, die ich sonst sehen würde. Alle deine Fehler und Geheimnisse. Und du siehst meine nicht. Deshalb klappt es mit uns."
    "Meinst du?"
    "Die Vergangenheit ist ein gefährliches Thema. Manchmal ist es am besten, sie ruhen zu lassen."

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Fazit: 
Wenn ich mich einmal irgendwie auf was eingeschossen habe, komme ich davon nur schwer wieder ab. So ging es mir mit diesem Buch, im negativen Sinne. Ich weiß nicht, was es mir sagen sollte. Ist es japanische Gesellschaftskritik? Ist es ein Thriller?- Das für mich zumindest nicht. Mir hat es eher eine Welt voll toxischer Beziehungen und Fehlkommunikation  gezeigt: egal ob in der Liebesbeziehung, oder in der Freundschaft, Arbeit, Familie. Im Buch hat man ein dreckiges Japan und ebenso negative Charaktere, mit denen keine Sympathie bei mir aufkam. Für mich sind Handlungen oft nicht nachvollziehbar, zu sprunghaft gewesen. Wenn etwas 'Japanisches' in die Geschichte einfloss, war es mir zu klischeehaft, unausgeführt. Der Autor scheint versucht zu haben, eine spannende Geschichte erzählen zu wollen, aber es blieb beim Versuch. Ich hatte das Gefühl, er ist nie wirklich in Japan angekommen und kratzt nur an der Oberfläche. Besonders irritiert hat mich das so sehr offene Ende. Mich konnte das Buch nicht begeistern.

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