"Die Telefonzelle am Ende der Welt" - Buchrezension

Allgemeine Infos:
Titel: "Die Telefonzelle am Ende der Welt"
Originaltitel: "Quel che affidiamo al vento"
Autor: Laura Imai Messina
Übersetzung: Aus dem Italienischen von Judith Schwaab
Erscheinungsdatum:  2020 [It], 2021 [D]
von mir rezensierte Auflage: 1. Auflage
Originalpreis: 20,00€ [D]
Verlag: btb Verlag
Umfang / Buchart: .Hardcover, 348 Seiten
Genre: fiktiver Roman
ISBN: 978-3-442-75896-8
Info: Das Buch basiert teilweise auf einer wahren Geschichte, die Telefonzelle an sich gibt es.
Das Buch ist mittlerweile mit verschiedenen Covern erschienen.

Buchrücken:

"Um die Wunden eines Lebens zu heilen, braucht es einen ganz besonderen Ort
》Ein Haiku des Herzens. Laura Imai Messina tauscht westliche Schnelligkeit und rosagefärbte Liebesszenen gegen bedeutungsvollen Minimalismus: ein Blick, ein Atemzug, eine Handbewegung.《
The Times, London
JAPAN: Am Hang des Kujirayama steht inmitten eines großen Gartens das Telefon des Windes. Jahr für Jahr kommen Tausende Menschen hierher, um mit ihren Liebsten im Jenseits zu sprechen. Als sich ein gewaltiger Wirbelsturm ankündigt, reist aus Tokio eine junge Frau an, entschlossen, den Garten um jeden Preis zu retten."

Beschreibung auf dem Bucheinband:
"Eine Tagesfahrt von Tokio entfernt steht in einem Garten am Meer einsam eine Telefonzelle. Nimmt man den Hörer ab, kann man dem Wind lauschen  - und den Stimmen der Vergangenheit. Viele Menschen reisen zu dem Telefon des Windes, um mit ihren verstorbenen Angehörigen zu sprechen und um ihnen die Dinge zu sagen, die zu Lebzeiten unausgesprochen blieben. So kommt eines Tages auch Radiomoderatorin Yui an diesen magischen Ort. Im Tsunami von 2011 verlor sie ihre Mutter und ihre kleine Tochter. Yui lernt in dem Garten den Arzt Takeshi kennen, auch er muss ein Trauma verarbeiten. Die beiden nähern sich an, gemeinsam schöpfen sie neuen Mut. Und erlauben sich zum ersten Mal, dem Leben einfach seinen Lauf zu lassen. Ganz gleich, was es für sie vorgesehen hat."

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Kurz über die Autorin:
"Laura Imai Messina wurde in Rom geboren. Mit dreiundzwanzig Jahren zog sie nach Japan. Ihr Studium an der University of Foreign Studies schloss sie mit dem Doktortitel ab, mittlerweile arbeitet sie als Dozentin an verschiedenen Universitäten. Laura Imai Messina lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Tokio. Ihr Roman 》Die Telefonzelle am Ende der Welt《 stand in Italien und Großbritannien wochenlang auf der Bestsellerliste und wurde in 25 Länder verkauft." (Aus dem Buch) 
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Meine Meinung:
Das Buch enthält zu Beginn eine Vorbemerkung, welche die Aussprache japanischer Begriffe erklärt. Am Ende enthält es ein kurzes Nachwort zum echten Telefon sowie ein Glossar zu japanischen Ausdrücken im Buch.
Ehrlich gesagt hat mich das Buch absolut positiv überrascht. Ich hatte einen Roman zum Thema der Telefonzelle erwartet, ja. Aber nicht, dass die Autorin mit so viel Fingerspitzengefühl, so viel Entschleunigung und Ruhe angenehm diese Geschichte erzählt. Man wird aus dem schnelllebigen Alltag ausgebremst und erfährt dank der liebevoll porträtierten Charaktere im Buch nicht nur von deren Leben und ihrem Schmerz, sondern auch, selbst wieder auf die eigentlich wichtigen Dinge im Leben, die oft kleinen Dinge, zu achten.
Zur Geschichte: Yui hat in der großen japanischen Katastrophe vom 11. März 2011 ihre Mutter und Tochter verloren. Sie arbeitet beim Radio und wird dort von einem Hörer auf das "Telefon des Windes" aufmerksam gemacht. Auf dem Weg zu diesem lernt sie nicht nur Suzuki-san, den Besitzer von Bell Gardia, wo das Telefon steht, kennen; sondern auch Takeshi- einen Mann, der alleinerziehender Vater einer kleinen Tochter ist, seit seine Frau an einer Krankheit verstarb. Als Leser erfährt man nicht nur die Geschichte der beiden, sondern die Geschichte von vielen Menschen, die nach Bell Gardia kommen. Man erfährt so viele Lebensgeschichten und unterschiedliche Arten, zu trauern und mit dem Tod umzugehen. Und auch, wenn die Charaktere erfunden sind, berühren einen diese Geschichten trotzdem. Weil es so oder so ähnliche Schicksale in der Welt gibt.

Ich finde schön, dass das Buch nichts Belehrendes hat und man so viele verschiedene Menschen und ihren Umgang mit dem sensiblen Thema kennenlernt, ohne dass darüber geurteilt wird. Hauptfigur Yui ist ganz zart gestaltet und hört sich feinfühlig die Geschichten der Menschen an. Als Leser, der gerade selbst die Berührung mit dem Thema Verlust, Tod, Trauer hatte, wusste ich nicht, ob das aktuell das richtige Buch für mich sei. Als ich jedoch zu lesen begann, wusste ich, für mich war es genau richtig. Es hatte etwas so tröstliches für mich zu lesen, wie andere Menschen trauern & wie vielfältig mit dem Thema eigentlich umgegangen werden kann. Die liebevolle, tiefgründige Erzählweise war so heilsam.
Sehr gefallen hat mir im Buch wie gesagt  der Blick auf die kleinen Dinge im Leben. Etwa, wenn Yui in einer Notunterkunft einen Mann bemerkt, der scheinbar verhaltensauffällig die Welt durch einen Bilderrahmen betrachtet und ihm sonst niemand  Aufmerksamkeit schenkt. Oder wenn in Yuis Radiosendung Menschen anrufen und ihre ganz vielfältigen Tipps und Tricks zum Umgang mit Trauer und Verlust äußern.
Auch sehr schön fand ich die "Zwischenkapitel" von nur ein, zwei Seiten. Diese widmen sich dann auch wieder so scheinbar kleinen Dingen, etwa der Playlist von Yuis Radiosendung, eine Liste kleiner niedlicher "Racheakte" von Takeshis Frau wenn er mal wieder zu spät von Arbeit kam, oder dem Bilderrahmen des Mannes in der Unterkunft (mit Angaben zu Maße, Farbe, etc.). Nach jedem Kapitel fragte ich mich schon, was im nächsten dieser Zwischenkapitel wohl Thema sein könnte und wurde meist doch wieder überrascht.

Ein bisschen ungewohnt war zu Beginn der Erzählstill im Sinne eines Vorgriffs: sie beschreibt, wie Yui einen Mann kennenlernt, mit dem sie später noch über dieses und jenes sprechen wird etc., aber für den Moment kennen sich die beiden ja noch nicht. Der Blick geht in die Zukunft, was sie noch tun und sagen werden, bevor wir zurück in die Gegenwart geholt werden und sie sich jetzt eigentlich erst kennenlernen und etwas zusammen machen. Sozusagen ein kleiner Spoiler. Später im Verlauf der Geschichte kommen solche kleinen Spoiler erneut, etwa den kurzen Blick 30 Jahre voraus. Zuerst wunderte ich mich und fragte mich, warum das gemacht wird, immerhin nimmt das doch die Spannung. Dann habe ich für mich verstanden, dass in diesem Buch eben nicht auf Spannung Wert gelegt wird, sondern auf andere Dinge.

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Zitate aus dem Buch:
Ich konnte mich nicht entscheiden, weshalb es hier mehrere Stellen aus dem Buch gibt, die mir gefielen.
  • "Sie wusste in dem Moment nur, dass so komplexe Dinge wie Glück weniger durch Worte als vielmehr durch Vorbilder vermittelt werden. Wir müssen selbst Freude im Überfluss besitzen, um sie anderen schenken zu können."
  • "Verrückte akzeptierte man eher, wenn man sich ihrer Verrücktheit nicht ganz sicher war."
  • "[...]Takeshi und Yui waren sich einig, dass das, was einem an den Menschen fehlt, wenn sie nicht mehr da sind, ihre Makel und Marotten sind, lächerliches Zeug oder Sachen, die einem lästig sind. [...] Vielleicht liegt das daran, dass man sich am Anfang an diese Dinge so schwer gewöhnen konnte und sie deshalb nicht so leicht vergessen kann. Als müsste man jedes Mal, wenn einem jemand auf die Nerven geht, versuchen, zum Ausgleich etwas Positives zu finden, das dieser Mensch an sich hat. Als würde man sich vorsagen: Ich liebe diesen Menschen, weil..."
  • "Durch diesen Hausaltar [...] habe ich schon von Kindesbeinen an begriffen, dass Dinge auch da sind, wenn wir sie nicht sehen, und es, wenn Menschen im Alltag nicht mehr da sind, nicht bedeutet, dass sie endgültig verschwinden, ganz im Gegenteil. So wie die Großeltern,  [...] Ja, sie waren unsichtbar geworden, aber stumm waren sie deshalb nicht. Sie zogen um, sagen wir mal so; von der Küche oder dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer, auf den butsudan. Einen Tag waren die Großeltern noch hier, und am nächsten waren sie da drüben."

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Fazit: 
Ein unglaublich feinfühliges, achtsames, entschleunigtes und heilsames Buch mit Blick auf die kleinen Dinge im Leben, die kleinen Zwischenmenschlichkeiten. Ein Buch wie eine warme, weiche Decke in einem kühlen Winter. Es stimmt nachdenklich, aber es tut auch einfach gut. Sowohl für Menschen mit Berührungen zum Thema Tod- und Verlusterfahrungen als auch für alle, die dies noch nicht erlebt haben. Die Geschichte und der Schreibstil haben mir sehr gefallen. Ein richtiges Wohlfühlbuch. 


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