Allgemeine Infos:
Titel: "Als wir Waisen waren"
Originaltitel: "When we were Orphans"
Autor: Kazuo Ishiguro
Übersetzung: Aus dem Englischen von Sabine Herting
Erscheinungsdatum: 2016(D), 2000 (Eng)
von mir rezensierte Auflage: 2. Auflage vom HEYNE Verlag
Originalpreis: 9,99€ [D]
Verlag: HEYNE Verlag
Umfang / Buchart: 416 Seiten, Paperback/Taschenbuch-Umschlag
Genre: historischer, fiktiver Roman
ISBN: 978-3-453-42155-4
Info: Zuvor ist das Buch bereits in anderen Verlagen erschienen: 2000 bei Knaus Verlag, 2002 btb Verlag
Buchrücken:
"Ein Mann auf der Suche nach seiner verlorenen Kindheit: England in den Dreißigerjahren: Es gibt nur einen Fall, den der Londoner Meisterdetektiv Christopher Banks bisher nicht aufklären konnte- das mysteriöse Verschwinden seiner Eltern in Shanghai, der Stadt seiner Kindheit. Als die Erinnerungen an die Zeit, als er Waise wurde, Banks immer häufiger quälen, beschließt er, nach Shanghai zurückzukehren, um endlich das größte Rätsel seines Lebens zu lösen.
>>Kazuo Ishiguro ist ein außergewöhnliches Genie.<< THE NEW YORK TIMES"
Beschreibung auf der ersten Buchseite:
"England in den Dreißigerjahren: Ganz London schwärmt von Christopher Banks und seinen Erfolgen. Es gibt nur einen Fall, den der Meisterdetektiv bisher nicht aufklären konnte - das mysteriöse Verschwinden seiner Eltern in Shanghai, der Stadt seiner Kindheit. Beide Eltern waren in den Opiumhandel verstrickt: der Vater als Profiteur, die Mutter als erklärte Gegnerin.
Als die Erinnerungen an die Zeit, als er Waise wurde, Banks immer häufiger quälen, und er mit seinen Recherchen dazu in England nicht mehr weiterkommt, beschließt er, sich auf den Weg nach Shanghai zu machen, um endlich das größte Rätsel seines Lebens zu lösen.
Bei Banks' Rückkehr in die Stadt seiner Kindheit tobt dort der chinesisch-japanische Krieg. Seine Nachforschungen führen ihn in die glamourösen Kreise aus Diplomaten und internationalen Unternehmern, in die Armenviertel und in die Ruinen des japanischen Gettos. Doch die Wahrheit erfährt er erst, als er seinen Onkel Philip wieder trifft..."
Kurz über den Autor:
"Kazuo Ishiguro, 1954 in Nagasaki geboren, kam 1960 nach London, wo er Englisch und Philosophie studierte. 1989 erhielt er für seinen Weltbestseller Was vom Tage übrig blieb, der von James Ivory verfilmt wurde, den Booker Prize. Kazuo Ishiguros Werk wurde bisher in 28 Sprachen übersetzt. Sein Roman Alles, was wir geben mussten wurde mit Keira Knightley in der Hauptrolle verfilmt. Der Autor lebt in London." (Aus dem Buch) Weitere Werke des Autors sind in Deutschland erschienen.
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Meine Meinung:
Der Erste Teil heißt bzw. spielt "London, 24. Juli 1930". Wir lernen Christopher Banks kennen, der rückblickend in diesem Kapitel seine Zeit ab London beleuchtet. Warum er sich für seinen Job entschied, sowie mehrere Episoden aus seinem Leben als Detektiv. Immer wieder führt er quasi Erinnerungen von sich an, die er nachfolgend erzählt. Besonders oft schildert er Zusammentreffen mit einer Miss Hemmings, sowie noch anderen Personen, zudem geht es immer wieder um Gesellschaften, Bankette und Festlichkeiten, die er besucht hat. Man taucht zwar gut in die damalige Zeit ein, jedoch habe ich mich gefragt, wann es denn nun einmal genauer um seine Vergangenheit geht oder wann überhaupt etwas mehr Fahrt aufkommt. Erzählt wird übrigens aus der Ich-Perspektive von Christopher.
Der Zweite Teil, "London, 15. Mai 1931" handelt dann (endlich) von Christophers Kindheit in Shanghai. Er beschreibt Stück für Stück sein Leben als Kind dort, seine Eltern, Angestellte und seinen besten Freund Akira aus Japan. Beide Jungs haben eine rege Fantasie und führen auch den ein oder anderen Jungenstreich aus. Der erwachsene Christopher beschreibt uns nach wie vor seine Erinnerungen und das Kapitel fand ich dann wirklich auch interessanter. Denn es ist geschrieben als würde sich wirklich jemand erinnern. A lá: 'Meine Mutter sagte .... .' Aber später wiederum revidiert er sich nicht ganz zu erinnern, ob sie das wirklich in dem oder einem ganz anderen Moment sagte. Das lässt auch den Leser erst einmal ein bisschen im Trüben schwimmen, nicht wissend, wie verlässlich die Erinnerung des Jungen ist. Denn irgendwann kommt es dazu, dass zuerst sein Vater, später seine Mutter verschwindet. Und jetzt als Erwachsener erinnert Christopher sich Stück für Stück an Details die ihm als Kind vielleicht nicht relevant erschienen, die er als Detektiv jetzt aber nutzt, um nach seinen Eltern zu suchen. Und als Leser rätselt man natürlich mit: Was hat es mit der Firma, für die seine Eltern gearbeitet haben, auf sich? Wer war der ein oder andere Mensch aus seiner Erinnerung? Und wie ist die ein oder andere Aussage, Beobachtung, Erinnerung, heute zu deuten?
Der dritte Teil, "London, 12. April 1937", ist wieder etwas gegenwärtiger, es geht viel um seine Erlebnisse rund um Jennifer, einem Waisenkind, dass er bei sich aufgenommen hat, sowie den Vorbereitungen seiner langen Reise nach Shanghai, die ansteht. Außerdem trifft er noch einmal auf Miss Hemmings und Sir Cecil, die ins Ausland gehen wollen.
Im vierten Teil, "Cathay Hotel Shanghai, 20. September 1937" ist Christopher zurück in Shanghai. Er kommt dort in der Gesellschaft an, trifft Miss Hemmings & Sir Cecil wieder, ermittelt und bekommt die Spannungen auf der Welt zwischen ersten und vor dem zweiten Weltkrieg noch mehr mit, vor allem den chinesisch-japanischen Krieg.
Im fünften Teil, "Cathay Hotel Shanghai, 29. September 1937" hat Christopher eine Begegnung mit einem alten Schulkameraden, wird von ihm zu seinem ehemaligen Wohnhaus in Shanghai gebracht und erfährt, was aus diesem geworden ist. Außerdem ist er frustriert, weil er bei seinen Ermittlungen nicht vorwärts kommt.
Sechster Teil, "Cathay Hotel Shanghai, 20. Oktober 1937": Christopher sucht sein ehemaliges Idol Inspektor Kung auf, um ihm einige Fragen zu seinem Fall zu stellen. Er bekommt immer mehr von den Spannungen zwischen Miss Hemmings und Sir Cecil mit. In ihrer Verzweiflung bittet sie, ihn auf ihrer Flucht zu begleiten und Christopher sagt zu. Aber dann hat er eine heiße Spur im Fall zu seinen Eltern, er gerät in den Krieg und die Ereignisse überschlagen sich nun...
Siebter Teil: "London, 14. November 1958": Einige Jahre sind vergangen, Jennifer ist nun schon über 30. Gemeinsam lassen sie und Christopher Revue passieren, was die letzten Jahre noch geschehen ist. Der Leser erfährt, was aus einzelnen Charakteren noch geworden ist.
Alles in allem ist es ein Roman über Charaktere, die die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, bis hinein und nach den 2. Weltkrieg erleben. Ein großer Teil des Buches spielt nicht nur in England, sondern auch in Shanghai, vor allem im Shanghai International Settlement. Das hat es wirklich gegeben und wer sich so wie ich das ein oder andere von der Kulisse her nur schwer vorstellen kann, sollte das Settlement googeln, denn der findet dazu einige Bilder im Internet.
Das Buch zeigt uns die Geschichte von Christopher Banks, der als Kind seine Eltern verliert und später Detektiv wird, um den Fall aufzuklären. Es geht von elitären Kreisen bis an die Kriegsfront, es geht auch um Liebe, dennoch würde ich das Buch nicht als sonderlich spannend bezeichnen. Wer einen spannenden Krimi erwartet, dürfte enttäuscht werden. Natürlich wollte ich irgendwann wissen, wie es denn nun endet, ob er Akira und seine Eltern findet, aber lange zieht sich vieles hin, bis es ca. Im sechsten Teil beginnt, sich an Ereignissen zu überschlagen. Dabei habe ich so manches Mal die Brauen gehoben beim Lesen, etwa als Christopher gegenüber einem Leutnant einen ziemlichen Gefühlsausbruch hatte und dieser mir fast zu ruhig blieb mit seiner Reaktion. Dann das Treffen auf seinen alten Freund Akira: es war schon irgendwie fast zu platt in den Wirren des Krieges. Auch, wie sie wieder auseinander gehen. WTF? So viel zum Thema bester Kumpel. Oder war es gar nicht Akira? Das Ganze ist ziemlich konfus stehen gelassen worden vom Autor. Oder auch, dass immer alle, auf die Banks trifft, davon ausgehen, er würde seine Eltern lebendig finden. Warum nur ist da jeder nach all den Jahren so optimistisch und keiner (bis auf einen am Ende etwas) zweifelt mal daran, dass sie längst tot oder über alle Berge sind? Auch er selbst war manchmal ziemlich sprunghaft. Die ganze Zeit will er seinen Fall lösen, dann ruft Miss Hemmings und er will ihr blind folgen, sein Fall halb vergessen. Dann geht er diesem doch wieder nach und sie ist halb vergessen. Wie gesagt, am Ende überschlägt sich so einiges.
Es gab ein paar Überraschungen, aber viele habe ich mir im Groben denken können. Jennifer, sein Ziehkind, fand ich als Kind manchmal zu erwachsen, fast altklug in ihrer Ausdrucksweise. Da war dann wenig Unterschied zu lesen zu dem Kapitel, als sie dann erwachsen war. Die Ausdrucksweise der Charaktere im Buch ist, wohl auch der damaligen Zeit geschuldet, oft verwirrend. Banks fragt sich allerdings auch öfter, was ihm hier und da mit rätselhaften Sätzen gesagt werden sollte, viele angedeutete Dinge muss sich der Leser dann selbst denken. Auch einige Sachen werden nur angedeutet und nicht beendet. Etwa die vielen Fälle von Banks oder Gespräche werden hin und wieder angerissen, bevor es zurück zu anderen Settings geht. Verwirrend, aber auch verständlich: immerhin geht es um Christophers Erinnerungen und wer kennt es nicht, Gedanken können manchmal sprunghaft sein.
Das Ende übrigens hat mich ein bisschen unzufrieden zurückgelassen. Ich will nicht zu viel Spoilern. Aber ich fühlte mich, wie Christopher es ausdrückte: "Versucht, ja, das ist das richtige Wort. Unterm Strich bleibt nur sehr wenig." Aber so ist das manchmal im Leben. Geschichtlich hat das Buch allerdings einige spannende Themen zum Weiterlesen angeschnitten, etwa das mit dem Settlement, dem Opiumproblem oder auch Tschiang-Kai-schek und die Kuomintang, was alles wirklich existiert hat.
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- "Vielleicht gibt es Menschen, die ungehindert von solchen Belangen durch ihr Leben gehen können. Aber von mir und meinesgleichen fordert das Schicksal, der Welt als Waisen gegenüberzutreten und viele Jahre lang dem Schatten der verschwundenen Eltern nachzujagen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es zu versuchen und dem Ende unserer Mission entgegenzusehen, so gut wie wir es können, denn ehe wir sie nicht erfüllt haben, wird uns keine Ruhe vergönnt sein."
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* Unbezahlte Werbung / selbst getestet & selbst gekauft.
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