"Der Hase mit den Bernsteinaugen" - Buchrezension


Allgemeine Infos:

Titel: "Der Hase mit den Bernsteinaugen - Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi"
Originaltitel: "The Hare with Amber Eyes"
Autor: Edmund de Waal
Übersetzung: aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer
Erscheinungsdatum: 2011 (D), 2010 (GB)
Originalpreis: 9,90€ (D)
Verlag: Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG
Genre: Familiengeschichte/roman, Familienbiografie
ISBN: 9783423142120
Info: 2021 wurde das Buch in Wien in einer Auflage von 100.000 Gratisexemplaren verteilt.


Buchrücken:



"Die Geschichte einer einzigartigen Kunstsammlung und die tragische Chronik einer der reichsten europäischen Bankiersfamilien, zwischen Odessa, Paris, Wien und Tokio.

Dass die Netsuke in Annas Tasche, in ihrer Matratze überlebt haben, ist ein Affront. Ich kann es nicht ertragen, dass daraus etwas Symbolisches wird. Warum sollten sie den Krieg in einem Versteck überlebt haben, wo es so vielen versteckten Menschen nicht gelungen ist?

》Weniger ein Erinnerungs- denn ein ein Einfühlungsbuch, zeigt diese Spurenlese in der Geschichte einer sehr vermögenden Familie, dass in der der eigenen Bescheidenheit zu jeder Zeit die größte Eleganz liegt.《
Felicitas von Lovenberg, >Frankfurter Allgemeine Zeitung<

》...ein Buch über die Geschichte Asiens und Europas, die Dekadenz des Bürgertums, den Antisemitismus der vergangenen beiden Jahrhunderte, die Kunst des Impressionismus, auch über Liebe, Angst und Verlust.《
>Der Spiegel<"


Klappentext:
"264 Netsuke, japanische Miniatur-Schnitzereien aus Holz und Elfenbein, liegen in der Vitrine des britischen Töpfers Edmund de Waal, Nachkomme der jüdischen Familie Ephrussi aus Odessa. Wie sie dorthin gelangten, erzählt dieses außerordentliche Erinnerungsbuch. Im Paris der Belle Époque hatte Charles Ephrussi, Kunsthistoriker, Sammler, Mäzen der Impressionisten und Freund von Marcel Proust, die Miniaturen in den 1870er Jahren erworben und sie um die Jahrhundertwende seinen Wiener Verwandten Viktor und Emmy, de Waals Urgroßeltern, geschenkt. Die Ephrussi, einst an Einfluss und Reichtum den Rothschilds ebenbürtig, erlebten mit dem >Anschluss< 1938 den Niedergang - ihr gesamtes Vermögen fiel der >Arisierung< zum Opfer. Nur die Netsuke wurden - Stück um Stück - in der Schürze des Dienstmädchens Anna gerettet. Im Koffer eines Onkels kamen sie in den 1950er Jahren nach Tokio, bevor Edmund de Waal in London den Schatz schließlich erbte. Eine Familiengeschichte, in der sich europäische Geschichte der letzten hundertfünfzig Jahre spiegelt, eine Wunderkammer, eine brillant geschriebene Erkundung über Besitz und Verlust, über das Leben der Dinge und die Fortdauer der Erinnerung."

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Über den Autor:
"Edmund de Waal wurde 1964 in Nottingham geboren und studierte in Cambridge. Er ist Professor für Keramik an der University of Westminster und stellte u.a. im Victoria und Albert Museum und in der Tate Britain aus. Er lebt in London. >Der Hase mit den Bernsteinaugen< wurde weltweit übersetzt und ein internationaler Erfolg." (Aus dem Buch)

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Meine Meinung:

Anfang der 1990er Jahre geht Edmund de Waal als Stipendiat nach Japan, um die Sprache zu lernen, um eine "neue Ära der Beziehungen mit Japan zu eröffnen". De Waal beschreibt seine Alltage in Japan, seine Eindrücke vom Land und was es hieß, wieder zur Schule zu gehen. Er berichtet über seine Liebe zur Keramik, über Nachmittage in Ateliers, Lehrer die japanische Techniken in seiner Heimat lehrten aber selbst nie in Japan waren und tatsächlichen Lehrmeistern in Japan. Nach seiner Keramik-Lehrzeit und einem Studium für englische Literatur, Arbeit in englischen Ateliers, verschlägt es ihn beruflich wieder nach Japan. Einmal die Woche besucht er dabei seinen Großonkel Iggie, der im Besitz der Netsuke ist. Onkel Iggie erzählt dabei immer wieder Geschichten von der Familie, bis zu seinem Tode.
Der Großonkel wird in Japan nach japanischen Ritual bestattet und dieses von de Waal auch beschrieben. Über den Adoptiv-Sohn Jiro gelangt schließlich Edmund de Waal an die 264 Netsuke und beginnt anhand von ihnen, die Familiengeschichte zu erforschen. Nicht nur ihren Weg in seine Hände sozusagen erforscht Edmund, sondern auch, bei wem es sich eigentlich um die Familie Ephrussi gehandelt hat. Wo sie herkamen, wie sie gelebt haben. Dabei besucht er noch real existierende Orte ehemaliger Familienstätten oder Gemälde und Gegenstände aus der Zeit und beschreibt sie uns, aber es ist trotz allem ein Familienroman, ein "Erinnerungsbuch", kein wissenschaftlich genau belegtes Buch, was heißt, daß manch kleine Beschreibung seiner Vorstellung genau das sein mag- seine Vorstellung. Wen es an der Stelle interessiert: die Leute von Wikipedia haben sich die Mühe gemacht übrigens ein paar Ungereimtheiten aufzulisten (z.B. etwa, widerspricht "Die Darstellung von Ignaz von Ephrussi [...] den Dokumenten, die sich im Verlassenschaftsakt, der sich im Wiener Stadt- und Landesarchiv befindet, erhalten haben"). Dort könnt ihr noch mehr nachlesen. Ich an der Stelle kann nur sagen, dass ich es natürlich ein bisschen schade finde, für mich persönlich nicht immer einschätzen zu können, was wirklich wahrhaftig so gewesen ist, was nicht, aber so ist das eben und dieses Problem hat man auch bei jedem anderen Autor, der etwas wahrhaftig Geschichtliches dokumentieren möchte, auch. Dafür zeichnet, auch wenn es hier und dort seiner Vorstellung entspringt (z.B. aufgrund der Räumlichkeiten der Wohnungen und Zimmer schließt de Waal auf Beziehungen der Familienmitglieder untereinander) Edmund einen kritischen, lebendigen aber auch sehr liebevollen Blick auf seine Vorfahren.

Apropos Vorfahren: es kommen so einige im Buch vor, beginnend bei Charles Ephrussi, der die Netsuke erwirbt (und der Erwähnung seiner näheren Verwandten), über alle weiteren Familienmitglieder und der Familie nahe stehende Personen, die auf der Nachverfolgung der Netsukes interessant waren. Edmund de Waal zeichnet uns dabei ein Bild der damaligen Zeit(en) und beschreibt uns bildlich schön Gebäude, Tagesabläufe, Optik, Tätigkeiten etc., sodass wir Leser uns gut hineinversetzen können. Ergänzend dazu hilft der Vorstellung das ein oder andere Bild, dass im Buch abgedruckt wurde. Interessant ist auch, was er wirklich und wahrhaftig über damals herausfinden kann an eben Bildern oder Schriften, Schreiben der Verwandten oder Artikel in Zeitungen, Archiven und so weiter. Stück um Stück erhält er und der Leser so von der Geschichte sein Bild.

Edmund de Waal geht ebenfalls auf Japanismus ein, die, man möchte sie fast Manie nennen, in der damals in Europa eine Sammelleidenschaft für japanische Gegenstände entwickelt wurde. Er beschreibt, was die Leute damals sammelten, was sie dabei reizte und faszinierte, ihre Gedanken (die viele doch auch dazu niederschrieben) und auch, was das gleichzeitig für Schattenseiten hatte und für die Künstler in Japan bedeutete.

Dank der Netsuke verfolgt Edmund de Waal seine eigene Familiengeschichte so gut es geht also zurück und wird dabei teilweise sogar recht philosophisch.

Was mir persönlich ein bisschen Schwierigkeiten bereitet hat beim Lesen waren die vielen verschiedenen Namen, Eigennamen, Ortsnamen, Begriffe aus der Kunst oder dem Französischen. Mit letzterem habe ich absolut meine Probleme, weil ich kein Französisch kann, zwar übersetzt uns der Autor Zitate oder Titel, aber zum flüssigen, schnellen Lesen halten sie mich doch immer wieder auf. Auch die Beschreibung vieler Kunstwerke. Oft möchte ich sie am liebsten sofort googeln, um zu wissen, wie sie aussehen, lass es dann aber doch bleiben. Hin und wieder gibt es ja Fotos im Buch. Ich will nicht sagen, dass es unspannend war, ich persönlich fand es schon interessant, vor allem, mit welchen Persönlichkeien sein Vorfahr Charles z.B. alles bekannt war, aber es liest sich eben auch nicht ganz so schnell weg wie manch Roman etwa. Einfach, weil Edmund de Waal so unglaublich viele Informationen in das Buch gepackt hat.

Das Buch ist unterteilt in mehrere Teile: nach Charles in Paris geht es zu Ignaz in Wien, dann zu dessen Sohn Viktor und seiner Frau Emmy mit ihren drei, später vier Kindern. Das Leben in Österreich wird uns nun beschrieben und auch, wie die Familie die Netsuke ganz anders verwendeten als Charles: der hatte sie ihnen zur Hochzeit geschenkt. Während die Kinder groß werden, nimmt die Geschichte leider ihren Lauf: der Antisemitismus nimmt Einzug in Österreich, der zweite Weltkrieg bricht aus. Und für die Familie wird es gefährlich, da sie so oder so als Juden gelten. Diesen Teil des Buches habe ich sehr interessiert gelesen, weil ich den geschichtlichen Background zu Österreich nicht hatte und nur wusste, was in Deutschland so passiert war. Gleichzeitig habe ich ihn so wütend gelesen, denn auch, wenn Edmund de Waal vielleicht hier und da im Buch überlegt, wie wohl das ein oder andere im Leben seiner Vorfahren gewesen ist, benennt er uns hier ruhig, was nacheinander chronologisch passiert ist. Wie einer Familie alles genommen wird, was sie sich aufgebaut hat und sie nichts mehr haben durfte, ja nichts mehr wert war.

Nach dem Krieg, die Familie Ephrussi ist ebenfalls gezeichnet vom Krieg, kommt es zu einer Überraschung: die 264 Netsuke haben überlebt, gerettet von der Haushälterin. Sie finden ihren Weg zurück zur Familie und zu Iggy, dem Sohn von Viktor und Emmy: er nimmt sie mit nach Japan...

Danach beschreibt Edmund de Waal uns das Leben seines Onkel Iggys in Japan, wie es war in Japan nach dem Krieg anzukommen und wie Japan nach dem Krieg aussah.

Zum Schluss besucht Edmund de Waal den Ort, wo für seine Familie alles begonnen hat, wo die ersten Vorfahren vor dem Auswandern herkamen: Odessa.

Übrigens: Das Buch erschien 2010. 2018 übergab Edmund de Waal 170 seiner Netsukes als Dauerleihgabe an das Jüdische Museum Wien. Die Sammlung wurde also erstmals getrennt...

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Eine Stelle aus dem Buch:
Schön finde ich persönlich folgenden Gedanken von ihm zum Thema Dinge und Erbe:
  • "Wie Objekte weitergegeben werden, hat mit Geschichtenerzählen zu tun. Ich gebe dir das,weil ich dich liebe. Oder weil man es mir gegeben hat. Weil ich es an einem besonderen Ort gekauft habe. Weil du darauf achtgeben wirst. Weil es dein Leben komplizieren wird. Weil es jemand anderen neidisch machen wird. Vermächtnisse erzählen keine einfachen Geschichten. Woran erinnert man sich, was wird vergessen? Ebenso wie die stetige Anlagerung von Geschichten kann es auch eine Kette des Vergessens geben, ein Abscheuern des einstigen Eigentumsrechts. Was wird mir mit all diesen kleinen japanischen Objekten weitergegeben?"
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Fazit:

Eine interessante Art, anhand von Netsuke seine Familiengeschichte nachzuverfolgen. Dazu viele Fakten aus den jeweiligen Zeitaltern, aber auch eigene Gedanken des Autors. Schlussendlich ist es in erster Linie eine Familiengeschichte über mehrere Generationen und mehrere Länder verteilt, eine Reise zu den Wurzeln des Autors, mit interessanten Beschreibungen der damaligen Lebensumstände oder wie Orte aussahen. Dabei kommt er auch immer wieder auf die Netsuke zu sprechen und seine Gedanken zu ihnen. Der Japananteil im Buch ist nicht soo riesig, trotzdem interessant. Da das Buch voller Fakten und historischer Namen oder Begriffe ist, war es kein Buch, dass ich all zu schnell wie sonst "weggelesen" habe. Auf jeden Fall ein Buch für Geschichtsinteressierte.


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