"Yoshiwara oder die schwankende Welt" - Buchrezension


Allgemeine Infos:
Originaltitel: "Yoshiwara oder die schwankende Welt"
Autor: Hans-Christian Kirsch
Erscheinungsdatum: 1997 / 1999
Originalpreis: 16,90 DM (Deutsche Mark)
Verlag: Eugen Diederichs Verlag / Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG
Umfang / Buchart: 382 Seiten, Paperback/Taschenbuch-Umschlag
Genre: historischer Roman
ISBN: 3-453-14761-8

Buchrücken:



Buchrücken:

"Japan um 1700: Es ist die Zeit der großen Shogune. Die Clans kämpfen um die Regentschaft, und japanische Poesie, Malerei und Theaterkunst entfalten sich zu voller Blüte. Ein Geschwisterpaar verliert die Eltern, ihre Wege trennen sich. Erst nach langen Jahren der Wanderschaft, der sexuellen Erfahrungen und der wechselhaften Schicksale treffen die beiden in Yoshiwara, dem Freudenhausviertel von Edo (Tokio), wieder aufeinander."

Bucheinband:

"Das Buch
Japan um das Jahr 1700, ein Dorf in der Provinz: Die Leibgarde des Daimyo, der die jährlichen Steuern eintreiben will, tötet die Dorfbewohner, die um Aufschub ihrer Abgaben bitten wollten. Ein Geschwisterpaar überlebt im steinernen Ofen des Backhauses- hier entladen sich ihre lang aufgestauten Gefühle in einem Inzest-Akt, der die beiden ein Leben lang prägen wird. Doch die Wege von Saemi und Toshua trennen sich.
Yoshiwara, das Freudenhausviertel von Edo, dem heutigen Tokio: Saemi ist hier als Zeichner und Holzschneider erotischer Szenen gelandet und erntet als Stückeschreiber für das Kabuki-Theater großen Ruhm, nachdem er, zum Samurai ausgebildet, dem Kampf abgeschworen hatte und als Spion bis an den Hof des Kaisers von China gelangt war. Toshua führt, in ihrer sehnsuchtsvollen Liebe zu einem Schauspieler enttäuscht und mittlerweile zur Konkubine des ersten Ranges ausgebildet, in eigener Regie zwei Bordelle. In diesem Viertel vereint das Schicksal Bruder und Schwester wieder miteinander..
Der Roman taucht in die mythische Vergangenheit Japans ein und beschwört die Zeit der Shogune wieder herauf, als die Klans um die Regentschaft im Lande kämpften und als sich japanische Poesie, Malerei und Theaterkunst zu voller Blüte entfalteten. Er bringt uns am Beispiel zweier abenteuerlicher Lebensläufe die Weisheit und Erotik des Fernen Ostens nahe und lehrt uns die asiatische Kunst, auf dieser >schwankenden Welt< mit Gelassenheit und Genuß zu überleben."

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Kurz über den Autor:
"Hans-Christian Kirsch, geboren 1934, hat sich als Autor zahlreicher Romane, Sach- und Reisebücher sowie von Biografien auch unter dem Pseudonym Frederik Hetmann einen Namen gemacht." (Angaben stammen vom Bucheinband)
Ergänzung dazu: Herr Kirsch ist im Juni 2006 verstorben.
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Meine Meinung:

Im nachfolgenden Beitrag möchte ich euch dieses schon etwas älteren Roman vorstellen, der sich mit Japan beschäftigt, genauer gesagt mit dem Freudenviertel Yoshiwara, dass sich um 1700-1900 in Edo, heute Tokyo, befand. 
Erst einmal muss man sagen, dass dieser Roman nicht nur von seiner Seitenzahl her sehr umfangreich ist. Alles in allem ist er von seiner Geschichte auch sehr umfangreich. Was man alles mit den beiden Helden erlebt in dem Buch ist nahezu unglaublich.
Ich möchte darauf hinweisen, dass dies meine ganz persönliche Meinung ist. Außerdem treffe ich dieses Mal doch einige Aussagen zum Geschehen, weshalb derjenige, der es noch nicht gelesen hat und es noch tun möchte, ab hier vorerst vielleicht nicht weiterliest und zum Fazit geht. Deshalb: !! Achtung teilweise Spoiler ab hier !!

Irgendwann kam mir der Gedanke, dass eigentlich so ziemlich alles mögliche in dem Buch enthalten ist, was es an Themen gibt: Ein großes Thema ist natürlich die Liebe, hier in Form von Heterosexualität, Homosexualität, Inzestliebe, unerfüllter Lieber, wahrer Liebe, Mutterliebe u.a. erzählt. Dazu kommt der Tod als großes Thema (in Form von Mord, Tod durch Krankheit,..), Rache, Freundschaft, Sehnsucht, Verlangen, Familie, Schwangerschaft, Sex und Erotik, Glaube und Religion, Selbstfindung, Sucht, Verrat, Wahnsinn, Stolz, Krankheiten, die schönen Künste, Landschaften und Länder... Man könnte noch ewig so weiter aufzählen, denn Herrn Kirsch ist wirklich ein umfassendes Werk gelungen.

Zu Beginn gleich taucht man in das Dorf von Saemi und Toshua ein, erfährt dessen hartes Leben, empfindet Mitleid und weiß gleichzeitig schon, was unausweichlich kommen wird. Aufgrund eines dummen Missverständnisses bricht ein Scharmützel zwischen den Bewohnern und den Kriegern aus und man weiß genau, dass das Dorf keine Chance hat. Das versteht auch Toshua, die ihren Bruder schnappt und sich mit ihm in einem Backofen versteckt, wohl wissend, dass eine Flucht (noch) nicht möglich ist.
Das die beiden ihren Gefühlen freien Lauf lassen, las ich zu Beginn mit einem seltsamen Gefühl, da das Thema Inzest in der breiten Gesellschaft nun einmal kein schönes Thema ist. Im Laufe des Romanes legte sich dieses Gefühl jedoch etwas und man fiebert mit den Charakteren mit und ist fast schon froh, dass sie sich endlich irgendwann wiederfinden.

Als die beiden am nächsten Morgen im Dorf nachschauen gehen, bleibt außer abgebrannte Reste und vielen Toten nicht viel übrig. Die beiden beschließen, sich zu trennen. Der eine geht in diese Himmelsrichtung, der andere in die entgegengesetzte und so trennen sich für die beiden jungen Menschen über Jahre die Wege.

Und so wird auch der Roman fortan aus zwei Leben erzählt: Mal gibt es ein Kapitel aus Toshuas Leben, mal aus Saemis.

Die beiden erleben dabei recht viel: Toshua landet vor den Toren Kyotos und weiß nicht, wie sie ohne Papiere in diese kommen wird. In einem verzweifelten Versuch springt sie auf einen Karren auf und wird natürlich bemerkt- der mächtige Besitzer jedoch lädt sie jedoch überraschend zu sich in die Sänfte ein und lässt sie in ein Haus bringen. Um Toshua entwickeln sich nun überraschend große Pläne: Sie soll dem Kaiser vorgaukeln, sie sei eine Nichte von ihm, damit durch Heirat einige Männer Strippen ziehen können. Das Ganze geht jedoch schief und Toshua wird verkauft nach Yoshiwara, in ein Bordell. Sie erlebt so einiges in Yoshiwara und steigt eines Tages zur ranghöchsten Kurtisane, einer Tayuu, auf- sie nennt sich "Kaiserbaumdame".

Saemi dagegen schlägt sich als Dieb durch, bis er in einer Waldhütte klauen will, in dem jedoch ein ehemaliger, herrenloser Samurai wohnt. Dieser hätte ihn töten können, macht es aber nicht, nimmt Saemi stattdessen bei sich auf und bildet ihn sehr ungewöhnlich aus. 
Saemi, bei dem ich zu Beginn nun dachte, dass er weiterhin in der Schwertrichtung aktiv sein wird (er faszinierte sich schon für ein Schwert des Großvaters und nach dem Dorfüberfall hätte es ihm gut gestanden, irgendwann auf Rache zu sinnen), schmeißt jedoch das Schwert eines Tages nach einem verändernden Vorfall in den Fluss und beschließt, Künstler zu werden. Das Saemi zum Samurai ausgebildet wurde, halte ich daher für übertrieben zu sagen, er wurde lediglich von einem Ronin (ehemaligen, herrenlosen Samurai) in Kampfkunst ausgebildet, aber lebt und befolgt nicht den Weg des Kriegers. Durch die Ausbildung wird ihm auch das immerzu an seine Schwester denken ausgetrieben.
Wieder auf sich allein gestellt, beginnt Saemi Zeichner und Holzschneider zu werden. Durch Zufall beweist er an einem Straßenstand sein Können und wird übernommen als Lehrling. Mit einem anderen Jungen entdeckt er unter anderem, wie man Farbdrucke anfertigt und sie können so einiges verkaufen.
Saemi kommt schließlich nach Edo, wo er an einen Samurai gerät, der ihn benutzen will für seine Zwecke: Saemi soll in China spionieren. Mit kaum einer Wahl macht er dies mit, aber am Ende kommt es anders als geplant. 
Saemi reist zurück nach Japan und eröffnet eine Werkstatt in Nagasaki, wo er auch in Kontakt mit Holländern kommt. Immer wieder ein Thema ist auch die Verfolgung von Christen in Japan. Saemi gelangt in Treffen einer Geheimgesellschaft, die politische Umwürfe plant. Mit denen will er nichts zu tun haben- wird aber hereingelegt und wird so verletzt, dass es problematisch für seinen Beruf wird. Als die Geheimgesellschaft wieder auf ihn zukommt, flieht er aus Nagasaki nach Edo. Dort beginnt er, Kurtisanen zu zeichnen und trifft so irgendwann wieder auf seine Schwester...  

Die beiden werden wiedervereint und sind fortan unzertrennlich und offiziell auch ein Paar- dass sie Geschwister sind, weiß sonst keiner. Saemi wird neben seinem bekannten Werk nun auch Kabuki-Direktor und schreibt aufsehenderregende Stücke. Die beiden verbringen viel Zeit miteinander, jedoch äußern sie einander bald die Sorge, dass ihr Glück irgendwann getrübt werden könnte..Und wer die Leben der beiden bis hierher schon spannend und aufregend fand, der weiß noch gar nicht, was ab da noch alles kommen wird. Aber mehr verrate ich nicht!

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Eine Stelle aus dem Buch:
  • "Nach dem Tod des Ronin gelangte Saemi in das Dorf Otsu in der Nähe des berühmten Biwa-Sees. Der Zufall wollte es, daß er in die Reihe der Stände geriet, in denen die Otsu-e, die sogenannten Otsu-Bilder, für Pilger ausgelegt waren, die dort vorbeikommen. Die Otsu-e stellten eine Art primitive Volkskunst dar. Sie wurden nur an diesem Ort angefertigt, eben an den Ständen, an denen sie zumeist auch gleich  ihre Käufer fanden, oft sogar nach Bestellung, vor deren Augen. Die Herstellungsmethode war einfach. Zwei, manchmal vier Blätter braunen Papiers wurden übereinandergeklebt und mit in Wasser aufgelöstem Ton als Grundierung eingestrichen. Dann skizzierte der Zeichner in heller Farbe den Umriss eines buddhistischen Heiligen."
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Fazit: 
Alles in allem ist die Geschichte der beiden, aber auch die Lebensgeschichten der Nebencharaktere (wie Marakabui oder Rauchschwalbengespenst etc.) sehr interessant. Jedoch eben aber auch sehr umfangreich. Man merkt, der Autor hat sehr genau recherchiert und will das auch alles einbringen. Und das nicht nur oberflächlich: Als Toshua etwa in das Bordell zu Beginn verkauft wurde, welches sie so schrecklich findet, weil ein Striptanz stattfindet, dachte ich, das sei nun übertrieben- jedoch fand ich später heraus, dass es den sogenannten "Chonkina" wirklich gab. Im Buch lernt man sehr vieles abseits der Hauptgeschichte kennen: Zum Beispiel über die chinesische Kunst oder das Orakeln, über Holzdrucke, Gebäude und Politik oder die Lebensweise damals, Kabuki oder den Buddhismus. Es ist interessant, manches Mal aber war mir das zugegebener Weise auch zu viel. Zumal manche Sachen auch weniger ausführlich gut gewesen wären und es ohne keine Verständnislücke für das Buch gebildet hätte. Schön war auch, dass so Sachen wie "Okuni aus Izumo" im Rahmen der Kabukierklärung eingebracht wurden, man Sachen also kannte. Bei anderen Sachen dagegen fragte ich mich, ob es erfunden oder wahr war. Das war nicht immer alles so leicht herauszufinden.
Alles in allem aber ein sehr umfangreicher, historischer Roman- auch wenn nur ein guter Teil in Yoshiwara spielt und der Titel dadurch vielleicht nicht unbedingt komplett passt. Ich hätte gern noch mehr die Künste von Yoshiwara betont gewusst, die Abseits dem Sexuellen liegen, etwa der Musik. So aber ist es wirklich eher ein Bordellviertel im Roman.
Besonders gut neben dem Glossar am Ende finde ich auch die eingefügte Zeittafel, die politische und weitere Geschehnisse der damaligen Zeit chronologisch auflistet.
Wer also einen Roman mit historisch umfangreichen, gut recherchierten Bezug zum Japan des 17.Jh. lesen möchte, der sich teilweise auch um die Welt der Kurtisanen in Yoshiwara dreht und der damit umgehen kann, dass zu einer Schwankenden Welt leider auch Tod und Ungerechtigkeit gehören, der ist bei diesem Buch richtig.


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* Unbezahlte Werbung / selbst getestet & selbst gekauft. 

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